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"Kohl hat die Öffentlichkeit getäuscht"
Berliner Zeitung / Berlin Online vom Donnerstag, 29. Januar 2004

Die Unantastbarkeit der Bodenreform war nicht Voraussetzung für die Einheit, sagt die Wissenschaftlerin Constanze Paffrath

Frau Paffrath, sie werfen der Bundesregierung vor, die Öffentlichkeit 1990 gezielt getäuscht zu haben. Demnach gab es bei den Verhandlungen um die deutsche Einheit gar keine sowjetische Forderung, die Bodenreform unberührt zu lassen. Auf welche Quellen stützen Sie sich?

Ich habe alle mir zur Verfügung stehenden Dokumente und sehr viele Zeitungsartikel eingesehen und systematisch ausgewertet - vom Fall der Mauer im November 1989 bis zum ersten Bodenreform-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im April 1991.

Die Regierung hat also gelogen?

Ein Beispiel: Die Bundesregierung hat bereits im März 1990 beabsichtigt, die Enteignungen von 1945 bis 1949 nicht rückgängig zu machen. Aber erst im Mai 1990 begannen die Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen. Später behauptete die Bundesregierung, Moskau habe darauf bestanden, die Enteignungen nicht anzutasten. Die deutschen Verhandlungsführer sprachen sogar von einem harten Ringen mit der sowjetischen Seite in dieser Frage. Die Kohl-Regierung hat nicht nur die Öffentlichkeit getäuscht, sondern auch den Bundestag und später das Bundesverfassungsgericht in die Irre geführt.

Warum hat Kohl dies getan?

Nach der ersten Einheits-Euphorie sagte Oskar Lafontaine, dass es die Einheit nicht zum Nulltarif geben wird, dass vielmehr erhebliche Steuererhöhungen auf die Bürger zukommen. Das hat vor allem im Westen die Stimmung getrübt. Die Absicht, die Steuern nicht zu erhöhen, musste gegenfinanziert werden. Bei den entschädigungslosen Enteignungen vor 1949 war ja das Grundgesetz noch nicht in Kraft, außerdem waren im Gegensatz zu den Enteignungen nach 1949 nur relativ wenige Eigentümer betroffen. Die Regierung dachte offenbar, wenn es gelingen würde, dieses Vermögen in Staatshand zu bringen, dann könnte davon die Einheit finanziert werden. Das war zugleich als Beruhigungspille für die Wähler im Westen gedacht. Es ging also um den Machterhalt, denn im Dezember 1990 waren Bundestagswahlen.

Wie viel Geld erhoffte sich der Bund?

Man ging davon aus, dass das gesamte Volkseigene Vermögen der DDR einen Wert von 600 Milliarden D-Mark hatte.

Wieso haben Verhandlungspartner wie Lothar de Maizière keinen Einspruch erhoben? Auch Gorbatschow hat lange geschwiegen.

Über die Enteignungen von 1945 bis 1949 ist nie ernsthaft verhandelt worden. Die Vertreter der DDR strebten dies auch gar nicht an. Und die Sowjetunion wollte vor allem vermeiden, dass die deutsche Seite Schadensersatzforderungen stellt. Deshalb wollte Moskau auch nicht, dass die Bodenreform noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt wird.

Warum hat das Bundesverfassungsgericht 1991 eine Klage von Alteigentümern abgewiesen?

In der Anhörung damals haben die Verhandlungsleiter Dieter Kastrup und Klaus Kinkel darauf hingewiesen, dass die Sowjetunion die so genannte Bodenreform zur unabdingbaren Bedingung für die Wiedervereinigung gemacht hat. Dann hätte es doch auf der Hand gelegen, auch die sowjetische Seite diesbezüglich zu befragen. Dies ist aber nicht geschehen. Weder Gorbatschow noch sein Außenminister Eduard Schewardnadse noch Kohl oder Schäuble sind befragt worden. Und Kastrup und Kinkel kamen nicht als Zeugen, sondern als Berichterstatter. Das ist ja auch erst später heraus gekommen, als man die beiden wegen Falschaussage verklagen wollte. Berichterstatter dürfen sich irren, Zeugen nicht. Es ist bis heute nicht gelungen, jemanden zur Rechenschaft zu ziehen.

Die Verantwortlichen fürchteten offenbar um den sozialen Frieden und wollten die Einheit finanzieren.

Die Bundesregierung hätte das den Menschen erklären können. Es wäre rechtlich vergleichsweise leicht gewesen, das Land an die Alteigentümer zurückzugeben. Außerdem hat dann die Treuhand diese Ländereien ja selbst weiter verkauft. Es blieb also ohnehin nichts, wie es war. Nun zur Finanzierung: Dass der Aufschwung Ost heute längst zum Erliegen gekommen ist, liegt gerade daran, dass der Mittelstand fehlt. Und er ist durch jene Regelung ausgegrenzt worden: Es ging ja gar nicht so sehr um die "Junker". Industrielle, Gewerbetreibende, Handwerker sind an der Rückkehr in den Osten gehindert worden, weil ihnen ihr Eigentum nach der Wende verwehrt worden ist.

Hat die Kohl-Regierung Recht gebrochen?

Ja. Zumal die Union das Eigentum sonst immer als Säule des Staates bezeichnet. Wer dies aus Gründen des Machterhaltes untergräbt, der untergräbt nicht nur den Rechtstaat, sondern auch seine eigenen Ziele und Werte.

Haben Sie Kohl selbst befragt?

Kohl hat mir telefonisch mitgeteilt, er stünde für wissenschaftliche Arbeiten nicht zur Verfügung.

Das Gespräch führte Martin Klesmann.