Proklamation der Reichsregierung an das deutsche Volk bezüglich der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht.Vom 16. März 1935.] An das deutsche Volk!Als im November 1918 das deutsche Volk - vertrauend auf die in den 14 Punkten Wilsons gegebenen Zusicherungen - nach viereinhalbjährigem ruhmvollen Widerstand in einem Kriege, dessen Ausbruch es nie gewollt hatte, die Waffen streckte, glaubte es nicht nur der gequälten Menschheit, sondern auch einer großen Idee an sich einen Dienst erwiesen zu haben. Selbst am schwersten leidend unter den Folgen dieses wahnsinnigen Kampfes, griffen die Millionen unseres Volkes gläubig nach dem Gedanken einer Neugestaltung der Völkerbeziehungen, die durch die Abschaffung der Geheimnisse diplomatischer Kabinettspolitik einerseits, sowie der schrecklichen Mittel des Krieges anderseits veredelt werden sollten. Die geschichtlich härtesten Folgen einer Niederlage erschienen vielen Deutschen damit geradezu als notwendige Opfer, um einmal für immer die Welt von ähnlichen Schrecknissen zu erlösen. Die Idee des Völkerbundes hat vielleicht in keiner Nation eine heißere Zustimmung erweckt als in der von allem irdischen Glück verlassenen deutschen. Nur so war es verständlich, daß die in manchem geradezu sinnlosen Bedingungen der Zerstörung jeder Wehrvoraussetzung und Wehrmöglichkeit im deutschen Volke nicht nur angenommen, sondern von ihm auch erfüllt worden sind. Das deutsche Volk und insonderheit seine damaligen Regierungen waren überzeugt, daß durch die Erfüllung der im Versailler Vertrag vorgeschriebenen Entwaffnungsbestimmungen entsprechend der Verheißung dieses Vertrages der Beginn einer internationalen allgemeinen Abrüstung eingeleitet und garantiert sein würde. Denn nur in einer solchen zweiseitigen Erfüllung dieser gestellten Aufgabe des Vertrages konnte die moralische und vernünftige Berechtigung für eine Forderung liegen, die, einseitig auferlegt und durchgeführt, zu einer ewigen Diskriminierung und damit Minderwertigkeitserklärung einer großen Nation werden mußte. Damit aber könnte ein solcher Friedensvertrag niemals die Voraussetzung für eine wahrhafte innere Aussöhnung der Völker und einer dadurch herbeigeführten Befriedung der Welt, sondern nur für die Aufrichtung eines ewig weiterzehrenden Hasses sein. Deutschland hat die ihm auferlegten Abrüstungsverpflichtungen nach den Feststellungen der Interalliierten Kontroll-Kommission erfüllt. Folgendes waren die von dieser Kommission bestätigten Arbeiten der Zerstörung der deutschen Wehrkraft und ihrer Mittel:
Bemerkungen zu A und B Nach dieser geschichtlich beispiellosen Erfüllung eines Vertrages hatte das deutsche Volk ein Anrecht, die Einlösung der eingegangenen Verpflichtungen auch von der anderen Seite zu erwarten. Denn: Während aber Deutschland als die eine Seite der Vertragschließenden seine Verpflichtungen erfüllt hatte, unterblieb die Einlösung der Verpflichtung der zweiten Vertragsseite. Das heißt: Die hohen Vertragschließenden der ehemaligen Siegerstaaten haben sich einseitig von den Verpflichtungen des Versailler Vertrages gelöst! Allein nicht genügend, daß jede Abrüstung in einem irgendwie mit der deutschen Waffenzerstörung vergleichbarem Maße unterblieb, nein: es trat nicht einmal ein Stillstand der Rüstungen ein, ja im Gegenteil, es wurde endlich die Aufrüstung einer ganzen Reihe von Staaten offensichtlich. Was im Kriege an neuen Zerstörungsmaschinen erfunden wurde, erhielt nunmehr im Frieden in methodisch-wissenschaftlicher Arbeit die letzte Vollendung. Auf dem Gebiet der Schaffung mächtiger Landpanzer sowohl als neuer Kampf- und Bombenmaschinen fanden ununterbrochene und schreckliche Verbesserungen statt. Neue Riesengeschütze wurden konstruiert, neue Spreng-, Brand- und Gasbomben entwickelt. Die Welt aber hallte seitdem wider von Kriegsgeschrei, als ob niemals ein Weltkrieg gewesen und ein Versailler Vertrag geschlossen worden wäre. Inmitten dieser hochgerüsteten und sich immer mehr der modernsten motorisierten Kräfte bedienenden Kriegsstaaten war Deutschland ein machtmäßig leerer Raum, jeder Drohung und jeder Bedrohung jedes einzelnen wehrlos ausgeliefert. Das deutsche Volk erinnert sich des Unglücks und Leides von fünfzehn Jahren wirtschaftlicher Verelendung, politischer und moralischer Demütigung. Es war daher verständlich, wenn Deutschland laut auf die Einlösung des Versprechens auf Abrüstung der anderen Staaten zu drängen begann. Denn dieses ist klar: Die Empfindung über die moralische Berechtigung und Notwendigkeit einer internationalen Abrüstung war aber nicht nur in Deutschland, sondern auch innerhalb vieler anderer Völker lebendig. Aus dem Drängen dieser Kräfte entstanden die Versuche, auf dem Wege von Konferenzen eine Rüstungsverminderung und damit eine internationale allgemeine Angleichung auf niedrigem Niveau in die Wege leiten zu wollen. So entstanden die ersten Vorschläge internationaler Rüstungsabkommen, von denen wir als bedeutungsvollen den Plan MacDonalds in Erinnerung haben. Deutschland war bereit, diesen Plan anzunehmen und zur Grundlage von abzuschließenden Vereinbarungen zu machen. Er scheiterte an der Ablehnung durch andere Staate und wurde endlich preisgegeben. Da unter solchen Umständen die dem deutschen Volk und Reiche in der Dezember-Erklärung 1932 feierlich zugesicherte Gleichberechtigung keine Verwirklichung fand, sah sich die neue deutsche Reichsregierung als Wahrerin der Ehre und der Lebensrechte des deutschen Volkes außerstande, noch weiterhin an solchen Konferenzen teilzunehmen oder dem Völkerbunde anzugehören. Allein auch nach dem Verlassen Genfs war die deutsche Regierung dennoch bereit, nicht nur Vorschläge anderer Staaten zu überprüfen, sondern auch eigene praktische Vorschläge zu machen. Sie übernahm dabei die von den anderen Staaten selbst geprägte Auffassung, daß die Schaffung kurzdienender Armeen für die Zwecke des Angriffs ungeeignet und damit für die friedliche Verteidigung anzuempfehlen sei. Sie war daher bereit, die langdienende Reichswehr nach dem Wunsche der anderen Staaten in eine kurzdienende Armee zu verwandeln. Ihre Vorschläge vom Winter 1933/34 waren praktische und durchführbare. Ihre Ablehnung sowohl als die endgültige Ablehnung der ähnlich gedachten italienischen und englischen Entwürfe ließen aber darauf schließen, daß die Geneigtheit zu einer nachträglichen sinngemäßen Erfüllung der Versailler Abrüstungsbestimmungen auf der anderen Seite der Vertragspartner nicht mehr bestand. Unter diesen Umständen sah sich die deutsche Regierung veranlaßt, von sich aus jene notwendigen Maßnahmen zu treffen, die eine Beendigung des ebenso unwürdigen wie letzten Endes bedrohlichen Zustandes der ohnmächtigen Wehrlosigkeit eines großen Volkes und Reiches gewährleisten konnten. Sie ging dabei von denselben Erwägungen aus, denen Minister Baldwin in seiner letzten Rede so wahren Ausdruck verlieh: Die Regierung des heutigen Deutschen Reiches aber wünscht nur eine einzige moralische und materielle Macht; es ist die Macht, für das Reich und damit wohl auch für ganz Europa den Frieden wahren zu können! Sie hat daher auch weiterhin getan, was in ihren Kräften stand und zur Förderung des Friedens dienen konnte:
Sie sieht in der Forcierung ähnlicher Maßnahmen in anderen Staaten weitere Beweise der Ablehnung der seinerzeit proklamierten Abrüstungsidee. Es liegt der deutschen Regierung fern, gegen irgendeinen Staat einen Vorwurf erheben zu wollen. Allein, sie muß heute feststellen, daß durch die nunmehr beschlossene Einführung der zweijährigen Dienstzeit in Frankreich die gedanklichen Grundlagen der Schaffung kurzdienender Verteidigungsarmeen zugunsten einer langdienenden Organisation aufgegeben worden sind. Dies war aber mit ein Argument für die seinerzeit von Deutschland geforderte Preisgabe seiner Reichswehr! Die deutsche Regierung empfindet es unter diesen Umständen als eine Unmöglichkeit, die für die Sicherheit des Reiches notwendigen Maßnahmen noch länger auszusetzen oder gar vor der Kenntnis der Mitwelt zu verbergen. Wenn sie daher dem in der Rede des englischen Ministers Baldwin am 28. November 1934 ausgesprochenen Wunsche nach einer Aufhellung der deutschen Absichten nunmehr entspricht, dann geschieht es:
Was die deutsche Regierung als Wahrerin der Ehre und der Interessen der deutschen Nation wünscht, ist, das Ausmaß jener Machtmittel sicherzustellen, die nicht nur für die Erhaltung der Integrität des Deutschen Reiches, sondern auch für die internationale Respektierung und Bewertung Deutschlands als ein Mitgarant des allgemeinen Friedens erforderlich sind. Denn in dieser Stunde erneuert die deutsche Regierung vor dem deutschen Volk und vor der ganzen Welt die Versicherung ihrer Entschlossenheit, über die Wahrung der deutschen Ehre und der Freiheit des Reiches nie hinausgehen und insbesondere in der nationalen deutschen Rüstung kein Instrument kriegerischen Angriffs als vielmehr ausschließlich der Verteidigung und damit der Erhaltung des Friedens bilden zu wollen. Die deutsche Reichsregierung drückt dabei die zuversichtliche Hoffnung aus, daß es dem damit wieder zu seiner Ehre zurückfindenden deutschen Volke in unabhängiger gleicher Berechtigung vergönnt sein möge, seinen Beitrag zu leisten zur Befriedung der Welt in einer freien und offenen Zusammenarbeit mit den anderen Nationen und ihren Regierungen. In diesem Sinne hat die deutsche Reichsregierung mit dem heutigen Tage das folgende Gesetz beschlossen: Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht. Quelle: Reichsgesetzblatt 1935 I, S. 369-375. |